175 Jahre Turnverein Hersfeld

 Die Gründung des Turnvereins in Hersfeld ist bereits 1834 zweifellos durch die Einführung des Turnens als Unterrichtsfach am kurfürstlichen Gymnasium in Hersfeld durch den damaligen Direktor Dr. Wilhelm Münscher mit verursacht worden. Im Jahre 1848 gründeten sich unter dessen Einfluss der Gymnasialturnverein und der Turnverein Hersfeld 1848. Neben den körperlichen Übungen hatten beide Vereine auch ihre geistig-kulturellen und gesellschaftlichen Ziele. Sollte das pädagogische Konzept des Gymnasialdirektors in erster Linie den teilweise leichtfertigen und rüden Verhaltensweisen größerer Teile der Jugend entgegenwirken, so waren im Turnverein als Folge der unruhigen politischen Verhältnisse Vaterlandsliebe und Kameradschaft (Turnbrüder) hervorstechende Merkmale.

  Das Turnen fand damals vorwiegend im Freien statt. Am Gymnasium geschah dies auf dem Schulhof. In der Fulda brachte man den Jugendlichen das Schwimmen bei. Der Turnverein 1848 betrieb seine turnerischen Übungen zunächst in der Stiftsruine. An Geräten standen anfangs nur ein Reck, ein Barren, ein Pferd (Schwingel) und ein Klettergerüst zur Verfügung. Der Übungsbetrieb war nach Inhalt und Ordnung vom Militär beeinflusst. Der Turnverein unterhielt zur damaligen Zeit z. B. auch ein Schülerhaus im „Galgengraben“, unterhalb von Wigbertshöhe gelegen. Zu den damals durchgeführten Schießübungen marschierte man geschlossen auf. Bereits im Jahre 1849 wurde die Fahne des Turnvereins geweiht und dies mit einer umfangreichen Feier begangen; siehe auch den Beitrag „Fahnenweihe“. Die Fahne wurde von den Frauen gestiftet und war mit vaterländischen Symbolen geschmückt. Nach der ersten Begeisterung zerfiel der Verein aber recht schnell wieder, insbesondere bedingt durch politische Verfolgung und Auswanderung der führenden Mitglieder. Im Jahre 1851 wurde das Turnen sogar wieder verboten, und die Turnvereine wurden aufgelöst. Die Fahne des Turnvereins wurde von einigen der Mitglieder versteckt, das sonstige Eigentum verkauft.

Artistiktruppe vor dem Jahr 1895


Turner-Riege des TVH vor 1924                

 Es dauerte bis Ende der sechziger Jahre, bis diese so genannte „Turnsperre“ wieder etwas gelockert wurde; übrigens zuletzt in Hessen. 1860 fand das erste deutsche Turnfest in Coburg statt. In Hersfeld belebten etwa 100 Turner den Verein im Jahre 1862 neu und turnten wieder in der Stiftsruine. Schon 1864 wurde mit Hermann Goldner der erste vereinseigene Turnlehrer angestellt. Er war ein sehr fähiger Mann, legte neben den körperlichen Fertigkeiten auch großen Wert auf pädagogische Beeinflussung seiner „Zöglinge“ und führte als einer der ersten in Hessen auch das Frauenturnen im Turnverein Hersfeld ein. Da wurde im Jahre 1869 dem Turnverein die Benutzung der Stiftsruine entzogen, und man stand ohne Übungsstätte da. Der Not gehorchend, verlegte man die Übungsstunden in Bolenders Garten am Eingang des Kurviertels.

 1870 bricht der Krieg gegen Frankreich aus. Die meisten jüngeren Turner werden zum Kriegsdienst eingezogen. Die Zahl der Turner sinkt erheblich. Ein Übungsbetrieb findet nicht mehr statt. Die Bevölkerung war mit kriegsdienlichen Aufgaben ausgelastet. Obwohl der Krieg gegen Frankreich 1871 siegreich zu Ende ging und Zerstörungen im eigenen Lande nicht stattgefunden hatten, kam der Turnbetrieb nach Kriegsende nur schleppend wieder in Gang.

  Inzwischen war 1873 die Turnhalle der Stadt Hersfeld an der Hainstraße fertig gestellt worden. Heute steht dort der Seitenflügel der Wilhelm-Neuhaus-Schule. Trotz der vor Baubeginn gegebenen Zusagen verweigerte die Stadt zunächst die Benutzung durch den Turnverein. Endlich wurde die Benutzung aber 1875 zugestanden. Das Ansehen des Vereins stieg darauf auch in der weiteren Umgebung durch die großen Erfolge bei den Turnfesten an. Der Verein hatte inzwischen auch einige Mitglieder, die nicht aus dem engeren Einzugsbereich stammten, u.a. aus Sontra.

 Im Verwaltungsbereich hatte der Verein aber in den Jahren am Ende des vorigen Jahrhunderts zunehmend größere Schwierigkeiten. Der Idealismus in der Gesellschaft schwand zunehmend und machte Egoismus und der Bedeutung materieller Werte Platz; eine Entwicklung, die auch in unseren Tagen noch beklagt wird. Politischer Zwist im Lande machte auch vor den Vereinen nicht halt. Die Querelen dieser Zeit zeigten sich im Turnverein Hersfeld im häufigen Wechsel der Personen in den Vorstandsämtern. Dennoch wurde im Jahre 1896 das Frauenturnen wieder belebt. Die Schwierigkeiten innerhalb des Vereins endeten 1899 in der Gründung eines 2. Turnvereins, dem TV Jahn. Sofort entbrannte der Streit um die Benutzung der städtischen Turnhalle in der Hainstraße, der schließlich von Seiten der Stadt unter Bürgermeister Strauß dahingehend entschieden wurde, dass keiner von beiden Vereinen das Benutzungsrecht mehr erhielt. In dieser Situation kaufte der Turnverein 1902 an der August-Gottlieb-Straße ein Grundstück, um sich darauf eine eigene Turnhalle zu bauen. Durch diese Entwicklung angeregt, vereinigte sich der TV Jahn wieder mit dem Stammverein, und in den Jahren 1903 und 1904 wurde die so genannte „Neue Turnhalle“ erbaut.

 In einer großen Einweihungsfeier wurde 1904 die Neue Halle dem Turnbetrieb übergeben. Sie stand auf dem Grundstück, auf dem heute das Bürogebäude der FA. BABCOCK steht. In Richtung der Geis und der Wehneberger Straße schlossen sich noch für den Übungsbetrieb nutzbare Freiflächen an (Spiele, Leichtathletik, Sommerfeste) . Neben dem Turnen diente aber die Neue Turnhalle in Ermangelung anderer geeigneter Räumlichkeiten von dieser Größe auch anderen Vereinen und Gruppen für ihre Versammlungen und Feste. So fanden in der Halle auch häufiger Laienspiele, Theateraufführungen und Konzerte statt, zumal die Halle bereits über eine Bühne verfügte. Die kulturelle Arbeit innerhalb des Vereins wurde durch den damaligen, die Jugendarbeit stark beeinflussenden Vorsitzenden Bernhard Andre´ nach Kräften gefördert. Der Anbau eines Versammlungsraumes mit Gastwirtschaft und eines Jugendraumes boten hierzu verbesserte Möglichkeiten. Die Nutzungsmöglichkeiten der neuen Halle schlugen sich im Anstieg der Mitgliederzahl auf mehr als das Doppelte nieder. Trotz aller sozialen Unterschiede herrschte im Verein ein guter Zusammenhalt und Kameradschaft. Ganz selbstverständlich schlugen sich diese positiven Voraussetzungen auch in zunehmenden Erfolgen der Vereinsmitglieder bei turnerischen und sportlichen Wettkämpfen nieder.

1904 Die „neue Halle“ in der August-gottlieb-Straße


Der große Turnsaal der „neuen Halle“                               

 Diese erfreuliche Entwicklung wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges im Jahre 1914 jäh unterbrochen. Das aktive Vereinsleben kam fast völlig zum Erliegen. Im Laufe des Krieges hatte der Verein unter seinen Mitgliedern 50 Gefallene und viele Verwundete zu beklagen. Die dem Kriege nachfolgenden politischen Gegensätze wirkten sich im Turnverein Hersfeld nicht so gravierend aus. Kameradschaft und Freundschaft standen immer oben an. Daran waren vor allem die Jugendgruppen des Vereins stark beteiligt. Der Verein führte damals so genannte „Volksbildungsabende“ durch, Aufgaben, die heute in ähnlicher Form von den Volkshochschulen wahrgenommen werden. Es wurde viel gewandert, getanzt und gespielt, vor allem in der Gruppe der so genannten „Grünwiesler“. 1920 erwarb der Verein hinter dem Kurpark den „Jahnplatz“ (heute Kleingärten hinter den Bahngleisen). Der Sportbetrieb nahm nun auch im Verein immer größeren Raum ein und verdrängte im Laufe der Jahre das Geräteturnen aus seiner Vormachtstellung. Auf dem Gelände des Jahnplatzes wurden vor allem Turnspiele durchgeführt, und für kurze Zeit gehörte dem Verein sogar eine Fußballabteilung im Spielbetrieb an.

 Der Verein unterlag selbstverständlich auch politischen Einflüssen von außen. 1929 herrschte die Weltwirtschaftskrise, in deren Gefolge radikale Parteien ihren Aufschwung nahmen. Diese Entwicklung führte 1933 zur Machtergreifung Hitlers. Das so genannte Führerprinzip griff auch im Verein um sich. Der Vorsitzende hieß fortan Vereinsführer. Statt des erhofften Aufschwunges kam es aber zu Rückschritten im Vereinsleben. 1935 verließen auch aus diesen Gründen Hans Winter und Bernhard Andre´ den Vorstand.

 Die weitere geschichtliche Entwicklung bis zum Ende des 2. Weltkrieges ist heute vielen älteren Mitgliedern noch bekannt. Die alte „Neue Turnhalle“ war während des Krieges für die Firma Schilde als Rüstungsbetrieb beschlagnahmt worden. Der Übungsbetrieb kam nach und nach völlig zum Erliegen. Nach Kriegsende wurde in Hersfeld unter amerikanischer Verwaltung nur noch ein Sportverein genehmigt, in dem alle Sportvereine zusammengefasst werden mussten. Erst 1948 wurde diese Vorschrift gelockert, und der TV Hersfeld gründete sich wieder neu, vor allem, um das Liegenschaftsvermögen für den Verein zu erhalten. Bis 1948 wurde die Halle noch von den amerikanischen Streitkräften genutzt. Zum 100jährigen Vereinsjubiläum im Sommer 1948 stand die Halle dem Verein wieder zur alleinigen Verfügung.

 Fahnenträger bei der 100-Jahr-Feier           


Damen-Turnriege des T V H

Am 08. März 1948 trafen sich im Hotel „Zum Stern“ viele Mitglieder des TV Hersfeld, um eine Neugründung zu diskutieren. Hans Winter, Hans Werner und Theodor Sauerwein hatten dazu etwa 200 Mitglieder eingeladen, von denen etwa 100 Personen erschienen. Dazu stießen ca. 30 Mitglieder der Sportgemeinschaft Hersfeld, der bis dahin allein zugelassenen Sportvereinigung. Die Versammlung leitete Hans Werner. Nach ausführlicher Beratung und Abstimmung wurde die Neugründung des Vereins beschlossen. Die Herren Werner und Winter sowie Fritz Niemand, Karl Lunkenbein, Fritz Gesing und Lisbeth Bräutigam übernahmen die Aufgabe, die formell wirksame Neugründung vorzubereiten. Sie unterzeichneten das Sitzungsprotokoll und gingen an die Arbeit. Das Protokoll vom 08. März 1948 ist in der Festschrift als Kopie vom Original abgedruckt und sehr interessant. 

So kam es bereits am 05. Mai 1948 zur konstituierenden Neugründung des TV Hersfeld. Mit dem Beschluss wurde Henner Schade zum  1. Vorsitzenden gewählt und Hans Ries zu seinem Vertreter. Oberturnwart wurde Karl Lunkenbein, Schriftwart Willi Hirschhäuser und Kassenwart Henner Mohr. Mit diesem Vorstand nahm der Verein einen schnellen Aufschwung. Der Athletik-Sportverein „Roland“ schloss sich dem Turnverein als Schwerathletikabteilung an. Leider musste aber die Turnhalle in sehr desolatem Zustand übernommen werden. Sie war ohnehin für den Sportbetrieb der vielen Abteilungen auch bei weitem nicht mehr ausreichend. Die Währungsreform 1948 hatte dem Verein auch jegliches Geldvermögen genommen. Der hohe Renovierungsbedarf überforderte die Finanzkraft des Vereins. Eine Vielzahl von neuen Mitgliedern erleichterte aber die Überwindung der großen Schwierigkeiten.

 Vor allem unter der Jugend des Vereins bestand ein enger Zusammenhalt. Dieser entstand nicht nur durch den Sportbetrieb in den Abteilungen, sondern im wesentlichen auch durch die ab 1948 durchgeführten Sommerzeltlager in Dalherda, später auch Zeltlager auf Sylt. Der Verein gliederte sich damals auf in die Abteilungen Turnen (Kinder, Frauen, Männer), Leichtathletik, Handball, Schwerathletik (Ringen und Gewichtheben), Fechten, Tischtennis, Skilauf und dem Spielmannszug. In dieser Lage beschloss der Vereinsvorstand, auf dem Gelände des Spielfeldes, Ecke August-Gottlieb- und Wehneberger Straße, eine neue Halle zu bauen und die alte Halle und Teile des Grundstückes an die Firma Schilde zu verkaufen.

Grundsteinlegung der JAHNHALLE 1961 mit 1.Vors. Henner Schade


Grundsteinlegung der JAHNHALLE 1961 durch Landrat Edwin Zerbe

 Der Grundstein zur neuen JAHNHALLE wurde 1961 gelegt. Nach schneller Fertigstellung folgte die Einweihung schon 1962. Die JAHNHALLE wurde nun zum Mittelpunkt sportlichen und gesellschaftlichen Lebens. Abteilungsfeste und Bälle fanden in der Halle statt. Auch der Stadt und anderen Vereinen stand die Halle zur Verfügung. Sie war durch die vielen Abteilungen bis auf die letzte Minute ausgelastet, und der Vorstand musste gelegentlich vermittelnd eingreifen, wenn immer neue Ansprüche angemeldet wurden. Seit dieser Zeit ist unsere JAHNHALLE der Mittelpunkt des Vereinslebens und sicher mit ein Grund dafür, warum der Verein 1998 überhaupt 150sten Geburtstag feiern konnte.

Übernommen aus der Festschrift zur 150-Jahr-Feier des TVH, welche noch viele interessante Artikel enthält.
Die Festschrift kann für € 3,- in der Geschäftsstelle erworben werden

Quellen zum geschichtlichen Hintergrund: Bernhard Andre´ , 75 Jahre Turnverein Hersfeld (1923) und Christian Siebert, u.a. Festschrift zur Weihe der Jahnhalle (1962)

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